hier bin ich geboren: Monika M. erzählt (2025)
Anfang Juni 2025 im Rahmen der Portraitreihe „hier bin ich geboren“ unter dem Titel „Ich arbeite nicht für mich, ich arbeite eigentlich für alle“ in der Tageszeitung „Neues Deutschland“ erschienen. Teil der Arbeit „hier bin ich geboren“ (Arbeitstitel, work in progress).
Ich habe mich wohl gefühlt,
es war ein angenehmes Lebensgefühl. Ich habe mich wohl gefühlt, und es hat mir viele Jahre sehr weh getan, dass die DDR untergegangen ist.
Geboren wurde ich 1950, in einem Dorf in der Nähe von Halle. Die Großeltern väterlicherseits, die wohnten mit im Dorf, und die Großeltern mütterlicherseits wohnten auch nicht weit weg. Beide Großväter waren im Krieg und sind heil, mehr oder weniger heil wieder nach Hause gekommen.
1957 bin ich eingeschult worden und hatte da so ein kleines Erlebnis gleich am Anfang der ersten Klasse. Die Kinder wurden nach dem Unterricht abgeholt, um zum Religionsunterricht zu gehen, und ich war die Einzige, die nicht mitgegangen ist. Das hat mich aber nicht wirklich gestört, es hatte auch keiner mit mir vorher darüber gesprochen, dass das so kommen würde. Ich weiß nur, dass der Pfarrer mal bei uns vorstellig geworden ist und wissen wollte, warum ich denn nicht mit zum Religionsunterricht gehe.
Auf den Beurteilungen der ersten, zweiten Klasse hatte ich immer drauf zu stehen, dass ich zu viel schwatze, ich denke mal, es war mir ein bisschen langweilig. Ab der dritten Klasse wurden zwei Klassen zusammen unterrichtet, die dritte und die vierte, von einem Lehrer. Und es war ganz schön voll in dem Zimmer, und einmal, weiß ich, hat der Lehrer mit Kreide nach mir geschmissen, ich saß ganz hinten, wir waren vier Mädchen und haben fürchterlich gekichert und den Unterricht gestört. Im Herbst 1959 sind wir dann nach Halle gezogen, da bin ich dann in eine ganz normale Klasse gekommen.
Den Mauerbau hab‘ ich im Ferienlager erlebt, in dem Örtchen Korswandt auf der Insel Usedom. Ich hab‘ gedacht, der Krieg geht wieder los. Aber mit mir hat keiner gesprochen, das ist, in der Schule zumindest ist das kein Thema gewesen. Ich glaube, da würde ich mich vielleicht erinnern.
In der Achten wurden dann die Weichen gestellt,
ob man zur erweiterten Oberschule geht und Abitur macht. Die Leistungen waren so, dass ich dahin gehen sollte und auch durfte, und dann ging ich ab der Neunten in die Oberschule. Das war eine Experimentierklasse, wir haben in diesen vier Jahren fürs Abitur und einen Beruf gelernt, ich war in der Klasse Chemiefacharbeiter. Ich fand das ganz witzig, drei Wochen Schule, eine Woche Buna. Die Leute, bei denen wir da waren, in Buna, die waren sehr aufgeschlossen uns gegenüber, und ich fand das auch spannend, ich war in der Essigsäurefabrik, Proben nehmen und entsprechende Tests durchführen, oder nebenan in der Azetonfabrik zu sehen, wie die Arbeiter dort schwitzen. Im Winter mag ja das angehen, aber im Sommer ist es fast unerträglich heiß.
Was mich im Nachhinein, viele Jahre später nachdenklich gestimmt hat, das war dieser Schmutz in und um Buna herum. Auf allem war so ein grauer Schleier, und wenn man sich bei Regenwetter dort die Hosen bespritzt hat, dann waren die Flecken für lange Zeit ins Gewebe eingebrannt. Aber ich hab‘ gedacht, das muss alles so sein, und es geht nicht wirklich anders.
Nach dem Abitur wollte ich Lehrerin werden, für Deutsch und Staatsbürgerkunde, und hatte auch schon das Aufnahmegespräch in Leipzig bestanden. Aber meine HNO-Ärztin meinte, die Stimme würde das nicht mitmachen, über die lange Zeit.
Ich habe dann über Umwege in Freiberg angefangen,
Sozialistische Betriebswirtschaft. Ich arbeite gern mit Zahlen, und das, das hat mir Spaß gemacht, alles, was so ein bisschen technisch war, wo ich konkret was hatte, das fand ich ganz gut. Ich hab‘ versucht, das andere auch hinzukriegen, aber das hat mich nicht wirklich so interessiert. Und ich hab‘ da auch meinen späteren Mann kennengelernt, mich viel im Jungeninternat aufgehalten, ich hab‘ dort Skat spielen gelernt und Doppelkopf. Und nach vier Jahren hab‘ ich dann auch die Diplomarbeit geschafft. Die anderen wussten, dass ich schon ein Kind hatte und auch verheiratet war, wir hatten 1972 geheiratet, und man hat mir ein Thema gegeben, dass ich von zuhause aus bearbeiten konnte. Sehr glorreich war der Abschluss nicht, aber ich konnte damit leben, es hat mir gereicht.
Wir sind dann nach Berlin gezogen, mein Mann hatte hier eine Stelle, und ich habe auch eine gekriegt, im Metallurgiehandel, und bald danach wurde unsere zweite Tochter geboren. Das waren die geburtenschwachen Jahrgänge, weil, seit 1972 war es offiziell gestattet, Schwangerschaften abbrechen zu lassen, und wir haben sofort zwei Krippenplätze gekriegt.
Und damals gab es einen Ehekredit von fünftausend Mark, das war eine schöne Starthilfe, denn wir hatten wirklich nichts. Wir hatten ein paar Mark von der Hochzeit, die haben wir aber in Freiberg schon ausgegeben, weil wir ja Bettdecken brauchten. Bettwäsche und Handtücher brauchte ich nicht, weil meine Oma mich all die Jahre versorgt hatte, immer zum Geburtstag und zu Weihnachten. War ich immer sauer gewesen, habe es ihr aber nicht gesagt. Und dann war ich sehr froh darüber. Der Ehekredit war zinslos, und für das erste Kind brauchte man 1500 Mark nicht zurückzuzahlen, für das zweite Kind 2500. So dass wir nur 1000 Mark zurückgezahlt haben.
Ich war sehr viel krank wegen der Kinder,
aber es hat auf der Arbeit nicht wirklich ein Problem gegeben. Ich bin dort auch gut aufgenommen worden, es gab kein Hickhack, wenig Probleme untereinander, da wurde nicht großartig getratscht oder Böswilligkeiten ausgetauscht, das war ein sehr angenehmes Arbeitsklima. Und nichts desto trotz habe ich irgendwann einen Kollegen gefragt, ob er eine Stelle für mich hat. Der kam aus einem Rechenzentrum, und das hat mich irgendwie interessiert. Und es hat auch nicht lange gedauert, und ich konnte wechseln, 1978, als EDV-Organisator. Das war das Rechenzentrum des Ministeriums für Außenhandel. Verwalten der Außenhandelsdaten mittels EDV, Riesenanlage, und Lochkarten. Später, kurz vor der Wende, haben wir dann, Bürocomputer nannten die sich, und da ging es dann los, dass wir uns von der guten alten Lochkarte verabschiedet haben.
Ich hatte im Rechenzentrum eine Kollegin, die zu den anderen gesagt hat, „Ihr seid ja schön doof, wenn Ihr hier arbeitet, legt Euch doch hin, wenn Ihr müde seid“. Das haben mir andere erzählt, und ich hab` mich manchmal gewundert, was die für ein komisches Muster auf der Stirn hat. Aber ich hatte immer das Gefühl, ich muss ordentlich arbeiten, ich muss mich anstrengen, ich muss das gut machen. Ich arbeite nicht nur für mich, ich arbeite eigentlich für alle.
So den Einblick in wirtschaftliche Dinge hatte ich nicht, wollte ich auch nicht haben. Ich weiß, dass wir in Berlin besser versorgt wurden, und klar durfte man nicht warten, bis man Schnupfen hatte und dann Taschentücher kaufen, das ging sicher nicht. Aber, wir hatten keine Probleme, uns zu versorgen. Man musste halt findig sein und immer zur rechten Zeit, und wo eine Schlange war, hat man sich meistens angestellt, ohne groß zu fragen, was es gab.
In der Partei bin ich nicht gewesen,
obwohl das eigentlich meine Absicht war, da reinzugehen. Ich bin gefragt worden und hab‘ dann aber gesagt, „nein, ich möchte nicht“. Irgendwie hat mich abgeschreckt, dass ich da drei Montage im Monat Versammlungen zu besuchen hätte. Und da mein Mann das schon hatte, hab‘ ich das dann nicht gemacht. Hin und wieder habe ich versucht, Parteitagsbeschlüsse zu lesen, aber damit konnte ich nicht wirklich was anfangen, das war irgendwie schwülstig, wenig konkret für mich.
Weil ich in einem Betrieb gearbeitet habe, wo die Mitarbeiter keine Westverwandtschaft haben durften und wir Besuch kriegen sollten vom Neffen meiner Schwiegermutter, habe ich meinen Abteilungsleiter gefragt, „wäre das in Ordnung, wenn er uns zu Hause besucht“? „Nein, das darf nicht sein“. Habe ich gesagt, „ist in Ordnung“, und er kam dann halt so. Weil, ich hab‘s irgendwie nicht eingesehen, das einzuhalten, weil ich das eigentlich unsinnig fand.
Einmal, da war ich noch im Metallurgiehandel, da war Honecker zum 7. Oktober in Moskau, und da habe ich gefragt, wieso ist Honecker zum Nationalfeiertag der DDR in Moskau, warum ist Breschnew nicht hier. Einfach nur als Frage formuliert. Und dann habe ich, da war ich schon im Rechenzentrum, in einer Gewerkschaftsversammlung mal angeregt, die Ferien zu staffeln. Damit mehr Ferienplätze auch für Familien mit Kindern vergeben werden können. Ich hatte das irgendwie mitgekriegt, dass das wohl im Westen so ist. Aber ich weiß gar nicht, ob das weitergegeben wurde.
Ich hab‘ mich wohl gefühlt in der DDR, es war ein angenehmes Lebensgefühl. Ich hab‘ mich auf Urlaube gefreut, aber ich hab‘ mich auch gefreut, dass ich danach wieder arbeiten gehen konnte, ich hab‘ mich auf meine Kollegen gefreut, ich habe keine, oder wenig Probleme gehabt, wenn die Kinder krank waren. Und ich war der festen Überzeugung, meine Kinder in eine friedliche Welt hineingeboren zu haben. Und dass es jetzt eigentlich nur noch vorwärts gehen kann, das heißt, dass die Menschheit durchaus sich so ändern kann, dass es keine Kriege mehr geben wird.
Ich kann inzwischen Einschätzungen lesen oder Berichte oder auch Bücher von Leuten, die nicht pro DDR eingestellt waren. Es tut nicht mehr so weh, weil ich denke, es hat einiges im Argen gelegen, und wir haben’s halt nicht geschafft, das zu verwirklichen, was wir wollten.
» hier bin ich geboren, Text und Fotografie, veröffentlichte Arbeiten